Baugeschichte
Die Neue Universität: Ein Areal spiegelt Heidelberger Geschichte
In dem Komplex der Neuen Universität, in dem auch das Historische Seminar der Universität Heidelberg untergebracht ist, wird nicht nur Geschichte studiert. Der Platz um den Bau ist ein für Heidelberg bedeutender Ort, der Zeugnis ihrer Stadt- und Universitätsgeschichte ist. Ihr heutiges Erscheinungsbild erlangte die Neue Universität erst im 20. Jahrhundert. Doch in den Jahrhunderten seit der Stadtwerdung Heidelbergs im 13. Jahrhundert nutzten die Heidelberger das Areal auf vielfältige Weise. Bedeutende religiöse, politische und kulturelle Veränderungen in der langjährigen kurpfälzischen Residenzstadt zeichneten sich nicht zuletzt in der baulichen Genese und Nutzung dieses symbolträchtigen Ortes ab.
Bereits die Anfänge der Stadt Heidelberg, beziehungsweise das Zentrum einer Vorgängersiedlung aus dem 12. Jahrhundert, liegen unter dem Platz, auf dem sich heute das Historische Seminar befindet. Archäologische Funde aus den 1980er Jahren lassen darauf schließen, dass es sich bei der Siedlung auf dem Areal der Neuen Universität um ein der „Burg Heidelberg“ (aus der das Heidelberger Schloss entstand) vorgelagerter Burgweiler handelte. Dieser Weiler muss von wohlhabenden Bauern bewohnt worden sein, da die Archäologen bei ihren Ausgrabungen die Reste zweier aufwendig gestalteter Saalgeschossbauten fanden.
Eine kurze Geschichte des Historischen Seminars findet sich
auf dessen Webpage unter Seminar/Institutsgeschichte.
Die Pfalzgrafen bei Rhein, die die Landesherren der Umgebung und Besitzer der „Burg Heidelberg“ waren, entschieden im frühen 13. Jahrhundert, dass ihre Burg am Königsstuhl zu einer Residenzstadt ausgebaut werden sollte. Das so zur Residenzstadt erhobene Heidelberg sollte vor allem der Herrschaftsstabilisierung des Fürsten in der Region und der Sicherung der lukrativen Handelsstraßen in der Rheinebene und dem Neckartal dienen. Für sie musste der Burgweiler weichen: Die Arbeiter des Fürsten ebneten die Siedlung ein und begannen durch deren Gebiet einen Wall anzulegen, der die Grenzen der neuen „Planstadt Heidelberg“ markieren und schützen sollte. Heute ist von der Vorgängersiedlung nur noch die im 12. Jahrhundert errichtete Peterskirche gegenüber der Universitätsbibliothek erhalten.
Die neue murus civitatis wird erstmals in einer Urkunde von 1235 genannt. Ihr wurde im Verlauf des 13. Jahrhunderts der noch heute erhaltene Hexenturm hinzugefügt. Bis zur Stadterweiterung von 1392 bildete er die südwestliche Begrenzung Heidelbergs. Aus fortifikatorischen Gründen war er schräg gestellt. Die Fürsten ließen den Turm nach innen mit drei Doppelarkaden versehen, damit Gegner sich im Falle einer Eroberung nicht im Turm verschanzen konnten. Warum der Turm so hieß, kann man im Nachhinein nicht mehr sagen. Im 15. Jahrhundert hieß der Hexenturm noch „Diebesturm“, da der unterste überwölbte Raum als städtisches Gefängnis diente. Der Begriff Hexenturm ist das erste Mal im Jahr 1689 schriftlich belegt.
Das Augustinerkloster im Spätmittelalter
Hinter der Mauer begünstigte insbesondere Pfalzgraf Ludwig II. im 13. Jahrhundert die Ansiedlung von Augustinermönchen, die schließlich auf dem heutigen Universitätsplatz ein großes Kloster ihres Ordens errichteten. Erstmals 1279 in den Urkunden erwähnt, wurde das Kloster wahrscheinlich schon einige Jahre zuvor erbaut. Der Komplex erstreckte sich vom Ausgang der Augustinergasse im Norden des Universitätsplatzes bis zum Hexenturm. Auf dem nördlichen Universitätsplatz stand eine Klosterkirche mit einem im Vergleich zum Chor recht kurzen Langhaus. Nach Süden schloss sich in Richtung der Neuen Universität der vierflügelige Konventbau mit Kreuzgang an. Letzterer lag auf dem Gebiet des heutigen Innenhofs der Neuen Universität. Das Kloster war sehr eng mit der 1386 gegründeten Universität verbunden – ab 1476 wurden hier Vorlesungen gehalten. Die Überreste des Klosters hat man 1912 ausgegraben.
Eine besondere Rolle spielte das Kloster für die Heidelberger Reformation: Am 26. April 1518 verteidigte hier der Augustinermönch Martin Luther, der bei seinen Ordensbrüdern Quartier genommen hatte, nur wenige Monate nach seinem berühmten Thesenanschlag seine Reformvorschläge für die Kirche in der Öffentlichkeit. Insbesondere die Heidelberger Theologieprofessoren sahen dieses Aufbegehren gegen die römische Kurie kritisch, während Studenten wie etwa der spätere Humanist Phillip Melanchthon mit Begeisterung reagierten. Die Disputation Luthers hatte langfristig einen großen Einfluss auf die Stadt und das Kloster. Das katholische Kloster verlor viele großzügige Spender in dem zunehmend von dem Protestantismus, bzw. Calvinismus geprägten Heidelberg und löste sich schließlich 1547 auf. Der Prior legte sein Amt nieder und überließ die Klostergebäude der Universität gegen eine Rente. Schließlich erklärten die Kurfürsten selbst zunächst den Protestantismus und mit dem Heidelberger Katechismus von 1563 den Calvinismus zur Staatsreligion der Kurpfalz. Eine Gedenktafel auf dem Universitätsplatz erinnert noch heute an den Besuch Luthers.
Zerstörungen durch Kriege des 17. Jahrhunderts
Die Hinwendung zum Calvinismus führte auch dazu, dass die Kurpfalz, dessen Fürst Friedrich V. 1618 Anführer der Protestantischen Union war, in den Dreißigjährigen Krieg verstrickt wurde. Der Krieg verlief für Heidelberg besonders verheerend: In seinem Verlauf wechselte die Stadt durch militärische Eroberungen mehrmals den Besitzer. Die Forschung hat errechnet, dass die Einwohnerzahl Heidelbergs im Verlauf des Krieges von 6500 im Jahr 1620 auf 300 im Jahr 1649 gesunken ist. Die materiellen Schäden waren ebenfalls groß, blieben jedoch im Vergleich zur Bevölkerungsabnahme gering. Die ehemaligen Gebäude des Augustinerklosters trugen erstaunlicherweise keine dauerhaften Schäden durch die Kriegshandlungen davon.
Ein anderer Krieg des 17. Jahrhunderts sollte sich jedoch als verheerend für die Bausubstanz der kurpfälzischen Residenzstadt erweisen: Der sogenannte Pfälzische Erbfolgekrieg. Die Kurpfalz geriet dabei ins Visier der Großmachtpolitik Ludwig XIV. von Frankreich. Dieser wollte seine in den 1680er Jahren gemachten Eroberungen im Westen des Reichs absichern und dafür eine politisch geschwächte und entmilitarisierte Zone zwischen ihm und dem habsburgischen Kaiser Leopold I. schaffen – die Pfalz. Unter dem Vorwand eines vermeintlichen Erbanspruchs, den er aus der Eheverbindung zwischen Liselotte von der Pfalz und seinem Bruder Phillip ableitete, griff er 1688 die Kurpfalz an. Es entbrannte ein neunjähriger Krieg, in dessen Verlauf die Pfalz zum Schlachtfeld der Großmächte Habsburg und Frankreich wurde. Mehr noch: Da Kurfürst Phillip Wilhelm entschieden auf der Seite des Kaisers stand, gab der französische König die Weisung „Brulez la Palatinat!“– brennt die Pfalz nieder – aus. Seine Truppen kamen diesem Aufruf in Heidelberg 1689 und mit noch größerer Sorgfalt 1693 nach. Die französischen Truppen schleiften die Stadtmauern, sprengten das Schloss und setzten die Stadt in Brand. Auch das ehemalige Augustinerkloster auf dem Universitätsplatz fiel den Zerstörungen zum Opfer. Der Hexenturm gehört zu den wenigen mittelalterlichen Gebäuden, die das Inferno überdauerten. Das aber auch er Schaden nahm, wird bei Betrachtung einer Stadtansicht von Matthäus Merian aus dem Jahr 1620, der wichtigsten Quelle zum Erscheinungsbild Heidelbergs vor diesem Krieg, ersichtlich: Hatte er auf dieser Darstellung noch ein Spitzdach, krönt heute ein wohl nach Kriegsende gefertigtes Mansardendach den Turm.
Der barocke Wiederaufbau der Stadt: Der Exerzierplatz
Nach dem Friedensschluss von 1697 galt es, die weitgehend zerstörte Stadt wiederaufzubauen. Der katholische Kurfürst Johann Wilhelm und sein Nachfolger Karl Phillip wollten Heidelberg nach den Vorbild Karlsruhes und Mannheims als barocke, quadratisch angelegte Planstadt wiedererrichten, was bei den verbliebenen Bürgern der Stadt auf Widerstand stieß. Die einst von den Kurfürsten gegründete Stadt fiel deswegen in deren Ungnade; 1725 verlegte Karl Phillip seine Residenz nach Mannheim. Das Spannungsverhältnis zwischen Stadt und Landesherr spiegelte sich auch im Umgang des Kurfürsten mit dem mittelalterlichen Hexenturm wieder: Um Baumaterial für den Festungsbau in Mannheim zu gewinnen, ließ Karl Phillip den Turm 1725 teilweise abreißen. Nur Proteste der Heidelberger Bevölkerung verhinderten, dass er ganz niedergelegt wurde.
Über die Gestaltung des heutigen Universitätsplatzes erzielten die Universität und der seit 1712 wieder in Heidelberg situierte Jesuitenorden keine Einigung. Während die Universität dort ein großes Hörsaal- und Versammlungsgebäude errichten wollte, gedachte der von den katholischen Kurfürsten protegierte Jesuitenorden den Platz als Teil des im 18. Jahrhunderts errichteten Jesuitenviertels zu nutzen. Schließlich kaufte Kurfürst Karl Theodor das Gelände 1753 und ließ es zu einem Exerzierplatz umgestalten.
Der Platz wird zum Bildungszentrum: Das „Musäum“ im 19. Jahrhundert
Durch die Einflüsse der französischen Revolution kam es gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu Säkularisierungsbewegungen in der Kurpfalz. In Heidelberg trat 1799 die sogenannte Klosteraufhebung in Kraft. Damit konnten zuvor geistliche Gebäude und Flächen in der Altstadt nun anderweitig genutzt werden – der Streit um die Nutzung des heutigen Universitätsplatzes war damit zugunsten der Universität entschieden.
In der Stadt gründete sich 1811 die „Museumsgesellschaft zur Pflege anspruchsvoller Unterhaltung und Gesellschaft“. Dieser bildungsbürgerliche Zusammenschluss ließ schließlich in Kooperation mit der Universität 1827/28 das „Musäum“ auf dem vormaligen Exerzierplatz errichten, ein Versammlungsgebäude, in dem bis zu 800 Personen Platz fanden. Doch Umbauarbeiten unter dem Historismus-Architekten Hermann Behaghels zwischen 1873-75 hinterließen weitreichende Schäden am Gebäude, sodass fraglich war, ob und wie das Gebäude in Zukunft genutzt werden sollte. 1901 kaufte schließlich das Großherzogtum Baden der Stadt Heidelberg das Musäums-Gebäude ab, ließ es 1903/04 renovieren und zu einem großen Hörsaalgebäude umbauen. Damit wollte man den Forderungen der Universität nach mehr Räumlichkeiten nachkommen. Das Problem war aber mit der Umfunktionierung des Musäums nicht beseitigt. Deswegen plante die Stadt schon 1925, das Gebäude durch einen Anbau zu erweitern.
Die Neue Universität und der Nationalsozialismus
Dieses Vorhaben durchkreuzte der US-amerikanische Botschafter in Deutschland, Jacob Gould Schurman, der im Mai 1928 bekannt gab, dass er für den Bau Spenden von 400 000 Dollar in den USA sammeln wolle. Er knüpfte an die Zahlung allerdings die Bedingung, dass man mit dem Geld eine große „University Hall“ nach US-amerikanischem Vorbild bauen solle, der das Musäum zum Opfer fallen müsste. Gegenstimmen mahnten, dass ein solch gewaltiger Bau gar nicht zu den übrigen Gebäuden in der Altstadt passe. Die Stadt jedoch akzeptierte die Bedingung und schrieb den sogenannten „Amerikabau“ aus. Noch 1928 gewann der Architekt Karl Gruber die Ausschreibung mit seinem Entwurf. Die Umsetzung des Baus war mit 1,6 Millionen Reichsmark veranschlagt. Doch nach Streitigkeiten zwischen Gruber, Schurman und der Stadt darüber, wie der Neubau final zu realisieren sei, sollte die Neue Universität letztlich mehr als 1,8 Millionen Reichsmark kosten. Die Bauarbeiten dauerten von 1930 bis 1934 an.
Bei der Außengestaltung der Neuen Universität konnte sich Gruber zunächst nicht durchsetzen. Über dem Portal wollte er Wappentier, Reichsadler und Greif in „strenger Stilisierung“ anbringen, doch die Universität und das Bauamt beschlossen im Mai 1930, dass stattdessen die Inschrift „Dem lebendigen Geist“ und eine sitzende Athena-Statue am Portal angebracht werden sollte – also die Konstellation, die auch heute am Portal zu sehen ist. Doch die Etablierung der NS-Diktatur im Jahr 1933 hinterließ auch (bauliche) Spuren an der Neuen Universität: 1936 wurde die Inschrift anlässlich der 550-Jahrfeier der Universität in „Dem deutschen Geist“ geändert. Die Nationalsozialisten brachten die Athena bei der Feier am östlichen Seitenteil der Hoffassade in Erdgeschoßhöhe an. Sie wurde auf Grubers Veranlassung am Portal durch einen bronzenen Adler ersetzt, mit dem sich die Universität dem Zeitgeist anpasste.
Auch am Hexenturm zeigte sich der Einfluss der neuen Machthaber: Schon im Sommer 1933 hatte die Universität ein Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Angehörigen des Historischen Seminars im Obergeschoss des Hexenturms gestiftet. Die Nationalsozialisten ergänzten das Ehrenmal um die Überschrift „Deutschland soll leben, auch wenn wir sterben müssen“. Paul Schmitthenner, ein Heidelberger Militärhistoriker, der 1933 der NSDAP beitrat und ab 1938 Rektor der Universität war, erreichte 1938, dass die jüdischen Gefallenen von dem Ehrenmal getilgt wurden. Das war seiner Ansicht nach eine Maßnahme, „die mit Rücksicht auf die deutschen Toten“ bislang unterblieben war, die aber „anläßlich des Kampfes des Weltjudentums gegen das Dritte Reich“ nun dringlich sei.
Mit der Etablierung der NS-Herrschaft in der Universität Heidelberg setzte Letztere in ihrer Forschung neue Schwerpunkte. Im Historischen Seminar richtete Schmitthenner schon 1933 das sogenannte „Kriegswissenschaftliche Seminar“ ein. Die Existenz dieses neuen Instituts zeichnete sich ab 1935 an der Außenfassade zur Grabengasse ab. Das Kultusministerium beauftragte nämlich den Bildhauer Fritz Hofmann, einen „Kriegerkopf“ zu fertigen, der über dem „Eingang zur Heldenehrung in der Grabengasse“ angebracht und als Symbol für das Seminar dienen sollte. Die Nationalsozialistische Tageszeitung „Volksgemeinschaft“ bezeichnete den Kopf als „ein echtes Kunstwerk unserer Zeit, einfach, hart und wuchtig.“ Heute liegt der Kopf im Keller des Historischen Seminars.
Die Neue Universität nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach der militärischen Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmte das US-Militär alle Universitätsgebäude. Der Senat der Universität beschloss, durch die US-Amerikaner unter Druck gesetzt, die baulichen Einflüsse der Nationalsozialisten an der Neuen Universität rückgängig zu machen. Der bronzene Adler am Portal wurde im November 1945 entfernt und die Athena wieder oberhalb des Portals angebracht. Der Soldatenkopf wurde vom Eingang des Historischen Seminars genommen und zum Ehrenmal im Hexenturm befördert. Die Universität präsentierte sich damit als „entnazifiziert“, um die Freigabe ihrer Räume durch die US-Armee zu erreichen.
1948 brannte das Dach der Neuen Universität aufgrund eines Kurzschlusses aus. Um bauliche Kontinuität zu bewahren, beauftragte das Finanzministerium in Karlsruhe nach Absprache mit den US-Amerikanern Karl Gruber, das Gebäude zu renovieren. 1951 waren schließlich alle Räume für den universitären Betrieb wieder zugelassen. Von 1978-1981 wurde die Neue Universität zuletzt renoviert und erlangte ihr heutiges Erscheinungsbild. Darüber, ob die Neue Universität ein Fremdkörper im Altstadtgebilde darstelle, wurde auch damals diskutiert. Freilich hebt sie sich von den einheitlich pittoresken Gebäuden um sie herum ab – durch Größe, Form und Bausubstanz. Sie ist aber als Produkt ihrer Geschichte zu sehen. Mit der Integration des Hexenturms ist die Neue Universität ein einzigartiger Komplex, der in seiner Genese wie kein anderes Altstadtgebäude die Veränderungen in der Geschichte Heidelbergs und seiner Universität abbildet.
Von Tim Schinschick